Frankreich nach den Parlamentswahlen: Rechte Abwege, um zu regieren?

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Das Ergebnis der Parlamentswahlen ist beispiellos. Ohne die absolute Mehrheit wird Emmanuel Macron nach Bündnissen mit anderen Parteien suchen müssen, um regieren zu können. Aber ist das wirklich so unmöglich, wie es scheint? Im rechten Spektrum könnte es ihm leichter fallen als im linken.

Batiment de l'Assemblée nationale de nuit, éclairé

Im April wurde Emmanuel Macron als Präsident wiedergewählt. Im Juni folgten nun die Parlamentswahlen und dafür hatte sich Macrons Partei, gerade frisch umbenannt in Renaissance, mit den beiden zentralistischen Parteien Modem und Horizons zu einem Bündnis der Mitte unter dem Titel Ensemble zusammengeschlossen. Doch die absolute Mehrheit hat die Allianz weit verfehlt. Sie wird in den kommenden fünf Jahren nur 246 Sitze behalten. Dabei wären 289 Abgeordnete für eine absolute Mehrheit nötig gewesen. Das politische System Frankreichs, das dem Präsidenten eine besonders starke Rolle erteilt, sieht vor, dass dieser seine Politik dank einer Mehrheit im Parlament umsetzen kann. Soweit immerhin die Theorie. Nun aber steht Macron ohne parlamentarischen Rückhalt da.

Französische Medien konstatierten ein politisches Erdbeben, eine Ohrfeige für den Präsidenten, dessen Politikstil der letzten fünf Jahre vielen Franzosen und Französinnen oft arrogant erschien, weit weg von den Sorgen der „kleinen Leute“. Macron war angetreten mit dem Ziel, die Gräben zwischen links und rechts zu  vereinen, seine Politik sollte lagerübergreifend die Franzosen und Französinnen einen und die Rechtsextreme „ausrotten“. Am Ende seiner Amtszeit steht nun fest: er hat die zersplitterte Linke immerhin dazu gebracht, sich auf Einheitskandidat*innen zu einigen und so wieder zu einer gewissen Geschlossenheit zurückzufinden. Allerdings ist die Rechtsextreme so hoch wie nie zuvor.

Sie, die Linke, landete am Wahlsonntag auf dem zweiten Platz (mit 32,6 %). Das Bündnis NUPES, bestehend aus der linken Partei La France Insoumise, den Grünen, den Sozialisten und der Parti Communiste hatte sich eher aus Not als aus echter Sympathie zusammengeschlossen. Trotz des vermeintlichen Erfolgs ist dessen Hoffnung auf eine linke Regierung unter Jean-Luc Mélenchon als Premierminister, quasi als Gegenpol zu Macron, zerschlagen worden. Bleibt der rechte Flügel bestehend aus der erstarkten Le Pen Partei  Rassemblement National (RN) für die zukünftig 89 Sitze bereitstehen werden und schließlich die konservativen Republikaner, abgeschlagen mit 17,27%.

Noch im Jahr 2017 konnte sich Macron auf eine komfortable Mehrheit von 350 Sitzen stützen. Er regierte das Land „durch“, also vertikal, entsprechend seines Spitznamens „Jupiter“. Durch dieses Machtverhältnis konnte er seine Gesetzesvorhaben ohne die Zustimmung der anderen Parteien durchsetzen, seine Abgeordneten wirkten oft wie Handpuppen, die nur noch die Vorschläge von oben durchwinken durften.

Was die extreme Rechte angeht, so hatte Macron vorausgesagt, sie werde unter seiner Regierung an Zuspruch verlieren, doch nun hat sie historische Siege verbuchen können. Bereits bei der Präsidentschaftswahl konnte Marine Le Pen näher an Macron heranrücken als noch vor 5 Jahren. Nur mithilfe vieler Wähler*innen aus dem linken Lager, die gegen Le Pen und nicht für Macron stimmten, gelang ihm die Wiederwahl. Doch Dankbarkeit gehört nicht zum Spektrum des Wahlkämpfers Macron, denn in den Wahlkreisen, in denen das Linksbündnis nun gegen die rechtsextremen Le Penisten antraten, gab es keine Empfehlung seiner Partei, um in der zweiten Wahlrunde für NUPES zu stimmen. Man nimmt also dankend den sogenannten „republikanischen Block“ in Kauf, wenn er einem selbst nutzt. 

Vielmehr klang es im Wahlkampf so, als sei das Linksbündnis mit dem RN gleichzusetzen. Eine ähnliche Debatte, wie sie in Deutschland entflammt, wenn Vergleiche zwischen der AFD und der Linkspartei gezogen werden. Aber sind beispielsweise die französischen Grünen imNUPES-Bündnis mit Marine Le Pen gleichzusetzen? Stellen sie eine ähnliche Gefahr für die Demokratie dar? Verteidigen sie ähnlich radikale Vorschläge? Vielmehr zeigt sich jetzt nach den Wahlen, dass für manche aus Macrons Entourage eine Zusammenarbeit mit dem Rassemblement National im Parlament nicht ausgeschlossen ist. So sagte Justizminister Éric Dupont-Moretti noch am Wahlabend, man müsse gemeinsam mit dem RN nach vorne gehen. Tatsächlich könnten die Rechtsextremen bei Themen Justiz, Innere Sicherheit, bei den Strategien von Polizei oder Gendarmerie als Alliierte in Frage kommen, um bestimmte Gesetze auf den Weg zu bringen. Es wäre eine Möglichkeit für den RN zu zeigen, dass er bei der parlamentarischen Arbeit nicht nur blockiert. Andererseits würde die Partei damit riskieren, ihr Markenzeichen zu verlieren, das darin besteht, zu behaupten, sie würden alles anders machen, wenn man sie lässt. Ein anderes Beispiel: Eric Woerth, Abgeordneter von Renaissance und ehemals Les Républicains, meinte in einem Interview, dass der Vorsitzende des Ausschusses für Finanzen, allgemeine Wirtschaft und Haushaltskontrolle – der normalerweise immer an die größte Oppositionspartei geht -  nicht an  France Insoumise  gehen sollte, da diese eine „Steuerprüfung“ im Sinne hätten, was er „von dem RN nicht gehört“ hatte.

Als wahrscheinlichste Allianz, die zwischenzeitlich geschlossen werden könnte, scheint eine Annäherung der Mitte an die Républicains und die unabhängigen Demokraten. Immerhin hat sich die Wirtschaftspolitik von Emmanuel Macron in den letzten Jahren der Linie angenähert, die bereits zu Sarkozy-Zeiten von konservativer Seite gefordert wurde. Sarkozy sprach sich daher auch für eine punktuelle Zusammenarbeit mit den Macronisten aus, während andere Mitglieder seiner Partei, insbesondere Jean-François Copé, einen ganz formellen Zusammenschluss fordern. Allerdings gibt es auch die Befürchtung, die bereits stark geschwächte Partei könnte im Zusammenschluss mit Ensemble gänzlich verschwinden. Doch im Gegensatz zu Macrons Partei haben die Konservativen immerhin einen Vorteil: sie sind im Land stärker verhaftet, sie haben bislang über die Fläche gewählte Vertreter*innen in den regionalen Institutionen. Die Hoffnung auf einen Wiederaufstieg sind also durchaus noch nicht verflogen; wieso sich also unter Macron weiter zerreiben lassen?

Fest steht: Emmanuel Macron kann nur dann Gesetze auf den Weg bringen, wenn er dafür entsprechende Bündnisse schmieden kann. Angefangen von der Rente mit 65, über weitere Einschnitte im öffentlichen Dienst, bis hin zu einer angekündigten Polizeireform. Im Moment scheint deutlich zu werden: Umso rechter er seine Politik gestaltet, umso eher kann er auf Unterstützung im Parlament hoffen. Derzeit schwer vorstellbar, dass er auch auf der linken Seite nach Hilfe sucht, was beispielsweise bei Klimafragen ein Gebot der Stunde wäre. Doch hier sitzen eben jene, die ihn im Wahlkampf aufs Härteste bekämpft haben, allen voran Jean-Luc Mélenchon als Anführer des Linksbündnisses. Erleben wir nun also einen Rechtsruck in Frankreich, damit das Land irgendwie regierbar bleibt? Es wäre tatsächlich die Ironie der Geschichte, wenn Macron, einst sozialistischer Wirtschaftsminister unter François Hollande, der stets über alle Lager hinweg Politik für die Mitte machen wollte, am Ende das Land auf rechte Abwege führt.